Natur pur – direkt vor der Haustür

In ihrer Serie „Mein Lieblingsort“ porträtiert die Norddeutsche Rundschau verschieden Gemeinden: Was verbindet Menschen mit dem Ort, in dem sie leben? Welches Fleckchen hat den Ort besonders geprägt? Und an welchen Plätzen halten sich die Einwohner besonders gerne auf? Mit alteingesessenen Bürgern machen wir einen Spaziergang durch ihre Heimatgemeinde. Heute geht es mit Jutta Sötje an ihren Lieblingsort in Kremperheide.

Am Strand des Badesees hält sich Jutta Sötje gern auf.
Junge Burenziegenböcke beim kämpferischen Spiel
Immer ein Hingucker: Die Highlandrinder mit Nachwuchs

Haben Sie schon mal kleinen Burenziegen beim Spielen zugesehen? Oder Highland- Rinder beim Grasen beobachtet? Kennen Sie den Windenschwärmer oder die Plattbauchlibelle? Wissen Sie wie Glockenheide aussieht oder der wilde Thymian? Wer nur eine der Fragen mit Nein beantworten muss, kann die Wissenslücke schließen – am Lieblingsort von Jutta Sötje in Kremperheide. Das Naturschutzgebiet Nordoer Heide ist für sie „ein Juwel“. „Einige Menschen kommen von weit her, um hier bei uns eine Führung mitzumachen, weil die Artenvielfalt einmalig in Europa ist“, erzählt die 64-Jährige, die seit 30 Jahren in Kremperheide lebt. Und sich ganz besonders gern im Naturschutzgebiet aufhält. Immer im Gepäck dabei: der Fotoapparat. Dass sie überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen ist, hält Juttta Sötje nicht auf. „Hier kennt man mich als die Frau im Rolli mit der Kamera“, erzählt sie vergnügt. Eindrucksvolle Bilder sind ihr schon gelungen – an dem für sie schönsten Platz auf der Welt.

Jutta Sötje genießt den Blick auf den Angelsee, liebt den Badesee mit dem Strand und natürlich die Heidelandschaft. „Das ganze Gebiet ist wunderschön.“ Besonders gern geht sie auf Fotosafari, um Insekten zu beobachten. „Hier gibt es viele Raupen, Falter und Libellen, ich habe schon seltene Exemplare erwischt“, erzählt sie und nennt als Beispiel den Windenschwärmer (siehe unten). Wo genau, verrät sie aber nicht, damit die hübschen Raritäten nicht von Neugierigen zu sehr in ihrem Lebensraum gestört werden. Dass sich eine so große Artenvielfalt entwickeln konnte, ist der Bundeswehr zu verdanken. Das Übungsgelände war Jahrzehnte lang gesperrt, ist erst freigegeben, seit die Soldaten abgezogen sind. „Seitdem bin ich bestimmt einmal die Woche hier unterwegs.“ Und sie hat den Blick für jedes noch so kleine Insekt am Wegesrand. Ihr gefällt die Ruhe, die sie im Naturschutzgebiet findet. „Da kann man rumlaufen und begegnet keinem Menschen – außer eben am Badesee.“

Überhaupt wohnt sie gern in Kremperheide. Die Nähe zur Natur auf der einen Seite, ein vielfältiges Angebot im Dorf auf der anderen. „Kremperheide hat alles für den täglichen Bedarf.“ Da ist der Discounter ebenso wie der Schlachter und der Bäcker, der Blumenhändler und die Tankstelle, das Geldinstitut und die Post, der Zahnarzt, Allgemeinmediziner und die Apotheke.

Kremperheide biete auch viel für junge Familien, führt Jutta Sötje weiter aus. Kindergarten und Grundschule sind da genauso wichtig wie die Freizeitangebote. „Wir haben den Sportverein, haben Sporthalle und Tennisplatz, sogar eine Skaterbahn und eine Boulebahn.“ Handball werde im Ort ganz groß geschrieben. Und die Feuerwehr, die auch tolle Nachwuchsarbeit leiste: Neben der Jugendwehr gibt es den Jugendmusikzug, dessen Konzerte sehr beliebt seien. Groß sei das gemeindliche Engagement ebenso in der Seniorenarbeit, zahlreiche Angebote für die Dorfbewohner halte zudem die Kirche bereit. „Hier fehlt überhaupt nichts, und alles ist gut zu erreichen“, sagt Jutta Sötje – auch für Rollstuhlfahrer.

Um an ihren zweiten Lieblingsplatz – oder besser gesagt auf ihren Lieblingsweg – zu gelangen, begibt sich Jutta Sötje in die zum Natuschutzgebiet entgegen gesetzte Richtung. Am Rand zur Marsch entlang der Moorwettern wurde der Weg immer wieder verlängert und ausgebaut. „Die Wege dort sind auch gut gepflegt.“ Und auch dort kommen Naturliebhaber auf ihre Kosten. „Auf den Wiesen kann man Bussarde und Störche beobachten, im Winter auch schon mal Silberreiher.“

Alles wird von ihr fotografisch festgehalten, bei Powerpoint- Vorträgen oder in Ausstellungen präsentiert sie, was die Natur in und um Kremperheide zu bieten hat. „Viele staunen darüber, was es hier so gibt.“ Jutta Sötje macht es Spaß, den Menschen ihre Begeisterung über die Naturschauspiele direkt vor der Haustür näher zu bringen. „Ich bin hier voll anerkannt“, freut sie sich über das Miteinander im Dorf, das auch etwas Besonderes sei. „Es gibt hier keinen Mitleidsbonus“, stellt sie klar, den wolle sie auch gar nicht. „Alle Leute sind hier so hilfsbereit fügt sie lächelnd hinzu. Hier werde sehr viel ehrenamtlich geleistet. Sie selbst bietet übrigens auch einmal im Jahr einen Rollstuhlaus- flug in die Heide an – „um den Leuten zu zeigen, dass sie sich im Rollstuhl dorthin trauen können und auch überall durchkommen“. Und um vielleicht wie sie die Natur zu genießen, für sich entdecken zu können – und sogar seltene Fauna und Flora zu erleben.
Ilke Rosenburg

(Quelle: Norddeutsche Rundschau vom 4.10.2016)

Der Windenschwärmer

Der Windenschwärmer – Agrius convolvuli – ist ein Wanderfalter, der im Frühsommer aus Nordafrika oder Südeuropa bei uns einwandert. Jutta Sötje hat ihn auf ihren fotografischen Streifzügen durch das Naturschutzgebiet entdeckt. Die Raupe des Windenschwärmers wird zwölf Zentimeter lang, gehört damit zu den größten Raupen Europas. Sie ernährt sich überwiegend von Windenarten. Der zweifarbige Dorn am Hinterleibsende ist völlig ungefährlich. (Jutta Sötje)