Lernwerkstatt: Selbst ist das Kind
Leuchtturmprojekt des Kirchenkreises in der KiTa Kunterbunt / Selbstständigkeit der Kinder fördern
Zehn kleine Tische stehen im Gruppenraum der evangelischen KiTa Kunterbunt bereit. Auf dem einen liegt ein Puzzle-Spiel, auf einem anderen steht ein Türmchen aus quadratischen Holzplatten und auf wieder einem anderen liegen ein Magnet sowie kleine Eisenkügelchen. Erzieherin Kirsten Christiansen stellt die große rote Uhr auf 40 Minuten und die acht Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren suchen sich je einen Tisch aus, an dem sie zu werkeln beginnen: Während Anton die fein, säuberlich aufgestapelten Holzplatten ein wenig durcheinander mischt und Jana die Puzzle-Teile zu abstrakten Formen zusammenfügt, herrscht absolute Stille. Christiansen beobachtet die kleinen Entdecker aus der Entfernung.
KiTa-Leiterin Bettina Kolbe erklärt das Konzept der so genannten Lernwerkstatt: „Es geht dabei nicht darum, ein Ziel zu erreichen.“ Die Kinder sollten einfach ausprobieren, was sich mit den Materialien anfangen lässt: „Was ich mir selber erarbeite, das behalte ich eher“, formuliert Kolbe die Grundidee. Im November vergangenen Jahres hatten die zwölf Mitarbeiterinnen der KiTa an einer Schulung teilgenommen und daraufhin diese Methode in ihrer Einrichtung eingeführt.
Für acht Kinder stehen zehn Tabletts mit unterschiedlichen Materialien bereit. Jedes Kind entscheidet selbst, mit welchem Material es innerhalb der 40 Minuten arbeiten will. Es kann zwischendurch auch wechseln. Die Betreuerinnen bleiben während dieser Zeit nur in der Beobachterrolle. Auch wenn ein Kind kurz vor dem Durchbruch stehe, die Puzzle-Teile wie vorgesehen zu einem Bild zusammenzufügen, dürften sie keinen Tipp geben: „Das war für uns alle total schwer, nicht einzugreifen“, berichtet Bettina Kolbe.
Es gehe aber gerade nicht darum, immer alles „richtig“ zu machen: Wenn einer die Puzzle-Teile zweckentfremde und einen Turm daraus baue, sei das letztlich viel kreativer: „Es muss nicht alles nach Regeln laufen.“ Im Gegenteil, die Regeln sind auf ein Minimum beschränkt: die anderen nicht stören, das Tablett am Ende wieder aufräumen und am eigenen Platz arbeiten.
Das Projekt hat Vorbildcharakter für den Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf. Markus Potten, Geschäftsführer des Verbandes Evangelischer Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein, hofft, „dass davon eine Strahlkraft ausgeht“ für andere KiTas der Umgebung. Seine Kollegin Franziska Schubert-Suffrian, koordinierende Fachberaterin, leitete die Schulung der KiTa-Mitarbeiterinnen. Durch Angebote wie Flötengruppen oder Sportvereine seien die Kinder heute meist vom „Gruppendenken“ geprägt, sagt die Expertin. Die simple Fragestellung: „Wie fange ich selbst etwas an?“, fehle vielen Kindern. Genau da setze die Lernwerkstatt an. Das Konzept stamme eigentlich aus der 68er-Zeit, sei aber bisher wenig umgesetzt worden.
In der Tat berichtet Bettina Kolbe von Kindern, die sich nicht trauen, aus eigener Initiative in der bereitgestellten Schüssel mit Wasser zu planschen. Die Kleinen seien es gewohnt, immer klare Anweisungen zu erhalten. In der Lernwerkstatt hätten sie die Möglichkeit, ganz frei ihren eigenen Interessen nachzugehen: „Wir wollen die Kinder nicht beschulen, sondern sie sollen selbst ausprobieren.“
Der Lerneffekt sei hoch. Die Kinder würden zu „eigenständigen Persönlichkeiten“ erzogen, was in der Vorbereitung auf die Schule sehr wichtig sei, so Kolbe.
Für Vorschulkinder ist die Teilnahme an der Lernwerkstatt in der KiTa Kunterbunt Pflicht, für die anderen Kinder ab zwei Jahren freiwillig. An drei Tagen pro Woche gibt es je zwei Durchgänge mit maximal je acht Teilnehmern. (Michael Althaus)
(Quelle: Norddeutsche Rundschau vom 23.3.2012)